Es ist nun eineinhalb Jahre her, seit ich vom betreuten Wohnen aus der 2er WG in Neukölln, wo ich mit einer guten Freundin vier Jahre zusammen gelebt hatte, in meine eigene Wohnung in Lichtenberg gezogen bin.
Es war eine schöne Zeit in der WG. Wir waren der Mittelpunkt der Glasower Straße. Alle kamen zu uns, auch meine Nachbarin, die von morgens bis abends jeden Tag bei uns war und bei uns übernachtet hatte. Sie fühlte sich bei sich in der Wohnung nicht wohl und hatte uns, wo sie immer hin gehen konnte. Wir haben zusammen Filme und Serien bei Youtube geschaut, Musik gehört oder einfach so im Internet gesurft. Alle haben bei uns telefoniert und mein WLAN benutzt, haben bei uns Tabak und Blättchen, Essen und Geld bekommen, wir haben zusammen gekocht oder ich habe für alle Cheeseburger, Hot Dogs und Toast Hawaii gemacht oder wir haben uns Essen geholt beziehungsweise bestellt und zusammen gegessen. Sogar der Vater von meiner guten Freundin kam mit Koffern bepackt und hat bei uns wochenlang gewohnt, was dann doch ziemlich anstrengend war. Also dachte ich mir, ich suche mir meine eigene Wohnung, um mit meiner Nachbarin meine Ruhe zu haben. Doch die Sache ging irgendwie nach hinten los. Meiner Nachbarin ist der Weg nach Lichtenberg zu weit. Sie meint, sie schaffe es gesundheitlich nicht, zu mir zu kommen. Seitdem ich in Lichtenberg wohne, war sie erst ein einziges Mal bei mir, und dass auch nur, weil wir uns ein Taxi für 40 Euro hin und zurück genommen hatten. Ich selber habe sie jetzt aber auch nicht übertrieben 500mal besucht, um sie wie früher zu sehen. Es ist ein ewiges Hin- und Hergefahre von Lichtenberg nach Neukölln und zurück. In einer halben Stunde nach Neukölln schaffe ich es nur, wenn die S-Bahntüren sich problemlos öffnen und schließen, wenn ich renne, um die Bahnen und den Bus zu kriegen.

Irgendwie verstehe ich mich auch nicht mehr so gut mit meiner ehemaligen Nachbarin wie früher. Und meine ehemalige Mitbewohnerin ist in der Wohnung geblieben. Sie hatte einen neuen Mitbewohner bekommen. Auch für mich war es komisch, wieder in meiner alten Wohnung zu sein und den Hof zu betreten. Ich durfte nur bis 19 Uhr bei ihr bleiben. Sie hat sich mit ihm nicht verstanden und ist wieder umgezogen. Sie hat aber einen Schlüssel für meine Wohnung in Lichtenberg und kommt mich immer am Wochenende und in ihrem Urlaub besuchen. Manchmal würde ich gerne wieder nach Neukölln zurückziehen. Dann hat es meine ehemalige Nachbarin nicht weit zu mir, und ich könnte mir wieder eine Wohnung in Neukölln in der Nähe von der Glasower Straße suchen. Aber der Wohnungsmarkt ist so miserabel, dass niemand überhaupt irgendwo eine Wohnung bekommt. Die Nachbarn über mir trampeln, und es fühlt sich an als würden sie gleich durch die Decke kommen und das ganze Haus einstürzen. Durch den Zug der offenen Tür zum Hinterhof knallt die Haustür und der Wasserhahn in der Küche bebt, dass das Geschirr wackelt. Bis jetzt wurde hier nichts repariert.

Meine ehemalige Nachbarin schreibt mir morgens meistens als erstes Guten Morgen, dann schreibt mir meine beste Freundin Guten Morgen und ich telefoniere mit ihr und mit meiner Mutter und mit meiner ehemaligen Mitbewohnerin. Zweimal in der Woche sehe ich meinen Wohnbetreuer vom betreuten Einzelwohnen von Pinel. Wir schreiben gemeinsam einen Einkaufszettel und ich bekomme mein Geld oder wir sortieren meine Unterlagen. Ich verkaufe Straßenzeitungen und Magazine und sammle Spenden, was mir einen großen Spaß macht. Ich verdiene mir viel Geld damit. Verkaufen kann ich, wann ich möchte. Am besten ab 10 oder 11 Uhr auf der Straße, wenn es nicht regnet. Bis es dunkel wird, bin ich unterwegs oder ich stehe an der Treppe am S Bahnhof Nöldnerplatz bis abends. Da bin ich auch wenn es schon dunkel ist, da der Ausgang des S-Bahnhofs beleuchtet ist.
Ich frage die Leute ob sie so ein Straßenmagazin oder eine Zeitung kaufen möchten oder eine Spende hätten. Es läuft immer sehr gut und ich bekomme in der Stunde bis zu 15 Euro oder sogar mehr. Ich bekomme sogar 5 Euro Scheine oder 2 Euro, oder 1 Euro und 50 Cent Stücke und nur selten noch kleineres Kleingeld oder etwas zu Essen.

Ich höre sehr gerne intensiv Musik über Kopfhörer oder über die Anlage und mache die Musik leiser und lauter und bekomme totale Gänsehaut.
Ich sammle die Berliner Verkehrsblätter und hole sie jeden Monat im S Bahnhof Lichtenberg Bahnbuchshop. Ich träume vom Verkauf der Motz und den Karuna Kompass, von der Schule und wie ich mein Abitur nicht packe oder von Bahn und Bus. Ich träume von Personen, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe oder von meiner ehemaligen Nachbarin, Personen, die mir wichtig sind und waren und verarbeite. Meine Träume für die Zukunft sind, dass ich eine feste Freundin habe und mit ihr glücklich bin und sie immer für mich da ist und ich für sie und wir uns lieben und uns gegenseitig besuchen und etwas unternehmen. Ansonsten habe ich meine Träume mit einer eigenen Wohnung verwirklicht und dass ich wieder gesund bin.

P. J.


Zu den früheren Beiträgen des Autors
Meine eigenen Wohnungen
1. Nachtrag zu „Meine eigenen Wohnungen“